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Bizarrer Touristenspaß auf den Spuren des Vietkong

Während des Vietnamkrieges lebten viele Menschen in den Tunneln von Cú Chi. Für Touristen ist der Besuch ein beklemmendes Erlebnis – wirklich absurd wird es aber an einem Schießstand in der Nähe.

Die alte Dame mit den krummen Beinen im braunen Baumwollanzug fächelt sich Luft zu. Sie ist nichts mehr gewohnt. Und vielleicht sind die Eindrücke, die Erinnerungen auch ein bisschen zu viel für sie. Erschöpft sitzt sie auf einem Baumstumpf auf dem Gelände der Cú-Chi-Tunnel, rund 40 Kilometer nordwestlich von Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, und fächelt sich mit einem Strohfächer Luft zu.

Der „Vietcong Park“ ist nicht neu für sie. Sie hat selbst früher hier gelebt, unter der Erde, wie ein Maulwurf. Die Veteranin ist mit einer Gruppe ehemaliger Kameraden zurückgekehrt, um sich zu erinnern.

Die Tunnel von Cú Chi sind eine unterirdische Festung, ein Labyrinth aus gewundenen Gängen, Höhlen und schmalen Stollen. Manche der Tunnel sind mannshoch, andere eng wie Gräber. Die Eingänge sind unsichtbar für Ahnungslose, winzige versteckte Klappen unter Blättern und Erde.

Die Tunnel waren in den 40er-Jahren, zur Zeit der französischen Besatzung Indochinas, mit Schaufeln, Hacken und bloßen Händen gegraben worden. Zwei Jahrzehnte später, während des Vietnamkrieges, haben die Partisanen des Vietkong das Tunnelnetz ausgebaut, als Schlupfwinkel und Verteidigungsstellung gegen amerikanische Soldaten.

Hier, mehrere Meter unter der Erdoberfläche, hat die Guerilla ihren Widerstand koordiniert, ihre Verletzten gepflegt. Hier, im Bauch der Erde, haben sie gegessen, geschlafen, sogar Kinder geboren, während draußen Bomben über ihr Land niederregneten.

Ein 248 Kilometer langes Tunnelnetz

Heute ist das Gelände in der Nähe des Dorfes Ben Dinh ein Touristenziel. Etwa 90 Minuten braucht man, um aus Saigon herauszufahren, bis man zum „Vietcong Park“ kommt: ein Busparkplatz, ein Getränkestand mit Postkarten, dahinter lichte Wäldchen. Ein unscheinbarer, beschaulicher Ort. Doch darunter liegt vernetzt, verzweigt, verworren das 248 Kilometer lange Tunnelnetz.

Eine 90 Meter lange Strecke davon wurde verbreitert und als Gedenkstätte zugänglich gemacht. Unterirdische Höhlen wandelte die vietnamesische Regierung in einen Themenpark mit lebensgroßen Puppen, in ein bekriechbares Museum um: ein Lazarettraum, eine Küche, eine Kommandozentrale mit Tisch und Landkarten.

Man kann auf allen vieren durch die Gänge kriechen und Guerillaluft schnuppern. Doch wenn die Stimmen anderer Besucher nach der nächsten Ecke verschwinden, beschleicht einen das Gefühl, lebendig begraben zu sein.

Amerikaner kommen hierher, auf den Spuren ihrer eigenen Geschichte, Touristen aus aller Welt, Schulklassen und eben vietnamesische Veteranen auf Wurzelsuche, wie die kleine Dame im braunen Baumwollanzug.

Schüsse knallen durch die Stille

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Ein paar Kilometer weiter nimmt der Kriegstourismus absurde Züge an. Schüsse knallen durch die beschauliche Stille. Maschinengewehrsalven und immer wieder der kurze, trockene Knall kleinerer Handfeuerwaffen. Für harte Dollars kann man hier sämtliche Waffen des Vietnamkrieges ausprobieren.

An einem Schießstand steht eine schmächtige Japanerin mit Minirock und Ohrenschutz. Ein Auge fest zusammengekniffen, drückt sie sich eine Kalaschnikow an die Schulter und feuert erbittert in die Bäume. Ein Vietnamese in grüner Uniform bringt ihr neue Munition. Dann kauft sie sich noch eine Halskette aus „echten gebrauchten“ Patronen und steigt vergnügt wieder in ihren Bus.

Die alte Veteranin kommt nicht an den Schießstand. In ihrem Leben hat es genug Waffen und Schüsse gegeben.

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