Erstmals werden in Peking Bosshards China-Fotografien der kriegerischen dreissiger Jahre gezeigt – allerdings nicht ohne Eingriffe der Zensur.
In Peking hatte er von 1930 bis 1939 seinen Lebensmittelpunkt. Jetzt gilt ihm dort eine Ausstellung. Damit wird der Schweizer Pressefotograf Walter Bosshard zum ersten Mal überhaupt in seiner einstigen chinesischen Wahlheimat gewürdigt. Und dies in keiner geringeren Kulturinstitution als im Kunstmuseum der Tsinghua-Universität, das vom Schweizer Architekten Mario Botta entworfen und 2016 eingeweiht wurde. Die Pekinger Universität zählt heute zu den renommiertesten Hochschulen Chinas, 1911 wurde sie mit Kriegsreparationsgeldern für den «Boxeraufstand» von 1900 der chinesischen Regierung an die Vereinigten Staaten gegründet, was noch heute als «Geburtsschande» bezeichnet wird. Die Tsinghua-Universität diente einst als Vorbereitungsschule für chinesische Elite-Schüler, die anschliessend zum Studium an nordamerikanische Universitäten geschickt wurden. Heute ist Tsinghua die weitherum führende technische und naturwissenschaftliche Universität Chinas.
Kuratiert wurde die 177 Fotografien von Walter Bosshard sowie auch von Robert Capa umfassende Ausstellung vom Direktor der Fotostiftung Schweiz, Peter Pfrunder. Gezeigt werden auch vier lange Filme aus den Beständen des Archivs für Zeitgeschichte der ETH Zürich; Bosshard hatte sie parallel zu seinen Fotoarbeiten gedreht. Mit Eingriffen der chinesischen Zensur wurde gerechnet. Bei manchen Bildern war absehbar, dass sie in Peking für «politisch heikel» befunden werden könnten. Allerdings werden in China Zensurentscheide von Fall zu Fall getroffen und sind deshalb immer auch für Überraschungen gut.
Das zuständige Zensurkomitee, bestehend aus Historikern und Spezialisten für die Geschichte der KP Chinas, kam in drei Sitzungen zur Entscheidung, sieben Bilder nicht zuzulassen. Dazu gehören Bosshards Porträts zweier hoher Offiziere der japanischen Besatzungstruppen, ein Bild eines kleinen chinesischen Jungen, der zum Einmarsch der japanischen Truppen ein Fähnchen mit der aufgehenden Sonne schwenkt, ferner auch ein Porträt des damaligen Führers der mongolischen Unabhängigkeitsbewegung sowie des Kuomintang-Führers Tschiang Kai-schek.
Auch ein frühes Porträt Mao Zedongs war nicht genehm, weil darauf der Kopf des Kommunistenführers ganz leicht angeschnitten ist. Bosshards Foto der auf einen Zaun gespiessten Köpfe zweier enthaupteter Banditen wurde aufgrund der drastischen Gewaltdarstellung vom Zensurkomitee lange diskutiert, aber letztlich dennoch zugelassen. Der Kurator Peter Pfrunder kann das paternalistische Bestreben der Zensurbehörde, das heimische Publikum vor gewissen Inhalten und Darstellungen zu schützen, nachvollziehen – zumal die Kernbotschaft der Ausstellung nicht beeinträchtigt worden sei, wie er meint.
Die Eingriffe in die Bildauswahl hielten sich wohl deshalb in Grenzen, weil das Museum dem Kulturministerium verdeutlichen konnte, wie wertvoll die Arbeiten der zwei Fotografen für das visuelle Gedächtnis Chinas der dreissiger Jahre und des antijapanischen Kriegs sind. Gerade Bosshards Bilder der Kommunisten und ihres Anführers Mao Zedong in Yanan wurden als bedeutende Dokumente gewürdigt.
Su Dan, der Vizedirektor des Museums, betonte an der Eröffnung, dass diese Kriegsfotografien auch deshalb so bedeutend seien, weil der chinesische Fotojournalismus damals noch kaum existierte. Entsprechend wenige Bilddokumente haben aufseiten der Kommunisten den antijapanischen Krieg überlebt. Im Vorwort zur Ausstellung betont Su die Bedeutung des Blicks der westlichen Fotografen als eines «dritten Auges» im Sinne einer neutralen Aussenperspektive auf die kriegerischen Ereignisse.
Su hob des Weiteren hervor, dass man in China gerne alles entweder schwarz oder weiss sehe, obwohl in der Realität die Grautöne vorherrschten. Während Robert Capa vor allem die Brutalität des Kriegs dokumentierte und eine klare Haltung zum Krieg zum Ausdruck brachte, habe Walter Bosshard mitunter eine multiple und mehrdeutige Perspektive auf die Kriegsereignisse bevorzugt. Dadurch sei seine Sichtweise zwar komplexer, aber auch differenzierter und habe ein Sensorium für die Zwischentöne der Realität. In dieser besonderen Fähigkeit erkennt er durchaus auch typische Züge von Bosshards Schweizer Herkunft.
Bemerkenswert ist überdies, dass Walter Bosshard sich im fragmentierten China der Kriegsjahre trotz strengen Kontrollen quer über alle Grenzen hinweg sowohl im von den Japanern besetzten Nordosten und in den von Nationalchina kontrollierten Landesteilen wie auch im kommunistischen Rückzugsort Yanan bewegte. Die nationalistische Führungsriege Tschiangs erhält dabei ähnlich viel Aufmerksamkeit wie Mao und seine Leute oder japanische Personen in Mandschukuo.
Bei allem Interesse an den Führungspersönlichkeiten aller Parteien galt Bosshards Aufmerksamkeit immer auch der gewöhnlichen chinesischen Bevölkerung und deren Alltag. Wie der Fotografiehistoriker Wang Baoqiang betont, vermied Bosshard nicht nur die propagandistische Vereinnahmung durch eine der Seiten, sondern auch den orientalistischen Blick, der in der frühen Wahrnehmung Chinas durch europäische Fotografen sonst so verzerrend wirke. Bosshards Bilder zeigen Respekt vor den chinesischen Individuen und lassen ihnen ihre Würde.
Die Ausstellung im Kunstmuseum der Tsinghua-Universität, die noch bis am 3. Mai zu sehen ist, könnte zum Ausgangspunkt einer vertieften chinesischen Erforschung von Bosshards fotografischem Schaffen in China werden. Aufgrund des einzigartigen Charakters der Foto- und Filmaufnahmen aus Yanan um 1938 erwägen zudem auch die Archive für die Geschichte der KP Chinas die Aufnahme dieser wertvollen Dokumente in ihre Bestände. Dass auch das Pekinger Publikum sich für diese in China noch nie gezeigten Bilddokumente begeistert, zeigt sich an der Zahl von gegen 2000 Ausstellungsbesuchern pro Tag.
Wei Zhang stammt aus Chongqing, China. Sie lebt als Publizistin, Dozentin und Übersetzerin in Würzburg und Zürich. 2018 hat sie im Zürcher Salis-Verlag den Roman «Eine Mango für Mao» vorgelegt.